Rundbrief Oktober 2015
Cantel, 18. Oktober 2015
Liebe Freunde und Freundinnen, liebe Spender und Spenderinnen,
Einige von euch haben wahrscheinlich in den deutschen Medien Nachrichten aus Guatemala gesehen und erfahren, dass die Bevölkerung in den letzten Monaten gegen die Regierung aufgestanden ist und den Rücktritt und die polizeiliche Festnahme des Präsidenten und der Vizepräsidentin erreicht hat. Deshalb fange ich diesen Rundbrief auch mit diesem Thema an.
Mittlerweile sind beide im Gefängnis, viele andere hohe staatliche Funktionäre ebenfalls, und warten auf ihre Gerichtsprozesse. In den bisherigen Untersuchungen wurde klar, dass der Präsident und die Vizepräsidentin zusammen mit anderen Funktionären schon vor ihrem Regierungsantritt vor 4 Jahren eine Organisation von Wirtschaftsverbrechern geleitet haben. Man kann sagen, dass dies ihre Haupt-einnahmequelle war. Ihr Machtposition gab ihnen die Möglichkeit, Richter und Rechtsanwälte in hohen Positionen zu kaufen, um ihre verbrecherischen Tätigkeiten zu decken. Öffentlich bekannt geworden ist der Betrug im Bereich der Einfuhrsteuern. Sicher gibt es noch mehr Organisationen, die Wirtschaftsverbrechen begehen, und Geld, das dringend für die Versorgung der Bevölkerung gebraucht wird, in private Taschen leiten.
Ein Plakat drückt die Situation folgendermaßen aus: (OPM ist dieAbkürzung für den Namen des Präsidenten Otto Perez Molina.
OPM ich habe Ihr Rücktrittsgesuch entworfen: Ich, OPM, trete zurück, weil ich versagt habe, was die Kinder und Jugendlichen angeht, die nicht in die Schule gehen können, und was die Kranken angeht, die ohne Medikamente sind, ich habe gegen die Busfahrer gefehlt, gegen die Geschäftsleute, die erpresst werden, gegen die Bürger, die täglich Überfälle auf der Straße erleiden, die Unternehmer, die am Zoll erpresst werden, und gegen die gesamte Bevölkerung.
ICH TRETE ZURÜCK, weil wir, während alle gearbeitet haben, das Land ausraubten.
ICH TRETE ZURÜCK, weil ich als Sohn, Bruder, Ehemann, Vater, Großvater, Freund versagt habe, weil ich kein Beispiel bin, dem man folgen kann.
ICH TRETE ZURÜCK, weil ich vor dem Militär, vor der Fahne, vor dem Gesetz und vor allen Guatemalteken, die mich gewählt haben, versagt habe. …..
Ich bin ein Korrupter, Lügner, Betrüger …….
In den letzten Tagen stand in der Zeitung, dass etwa 1500 Unternehmer an diese Organisation, genannt La Linea, Korruptionsgelder bezahlt haben. Obwohl sie klar gegen das Gesetz verstoßen haben, kann man sie jetzt nicht vor Gericht stellen und in Untersuchungshaft nehmen, weil es zu viele sind.
Die Demonstranten haben neben der Bestrafung der Wirtschaftsverbrecher und der ihnen hörigen Richter und Rechtsanwälte eine Änderung der Parteien- und Wahlgesetze gefordert. Nach den geltenden Gesetzen ist es nämlich möglich, dass verbrecherische Abgeordnete wiedergewählt werden können. Diese Gesetzesänderung haben die Abgeordneten unter anderem dadurch verhindert, in dem sie nicht zu den Sitzungen erschienen sind.
Das schwarze Plakat links oben gibt eine Erklärung dafür, warum soviele Verbrecher im Parlament sitzen.
Es ist nicht die Politik, die einen Kandidaten in einen Betrüger verwandelt, es ist deine Stimme, die einen Betrüger in einen Politiker verwandelt.
Bei den Wahlen im September wurden viele unfähige Abgeordnete wiedergewählt. Was sich im Vergleich zu früher geändert hat, ist, dass es jetzt Organisa-tionen gibt, die deren verbrecherische Vergangenheit offenlegen und Anzeige erstatten, und zwar nicht nur gegen Abgeordnete, sondern auch gegen Richter und Rechtsanwälte.
Die Erfahrung, dass Mächtige, zu Verbrechen bereite Persönlichkeiten, vor Gericht gebracht werden können, berechtig zur Hoffnung, dass in Zukunft die Korruption schwieriger wird, und Steuergelder der Bevölkerung zu Gute kommen. Allerdings erfordert es viel Mut korrupte Chefs oder Mitarbeiter anzuzeigen, denn es besteht immer noch die Gefahr, entlassen oder auf eine Stelle weit weg vom Wohnort versetzt zu werden. Auch Mord ist nicht ausgeschlossen.
Trotz all der erfreulichen Veränderungen in den letzten Monaten schaut es politisch und wirtschaftlich nicht gut für die Guatemalteken aus. Für die öffentlichen Einrichtungen fehlt es an Geld, die geraubten Millionen sind noch nicht in die Staatskassen zurück geflossen. Es ist nicht klar, wie der nächste Haushalt finanziert werden soll. Das, was auf dem Plakat dem Expräsident vorgeworfen wird, gilt weiterhin. Es ist ja nicht eine Person, die Ursache für all die Armut ist, sondern ein System, das sich nicht sofort ändert, wenn einige der Hauptverantwortlichen festgenommen werden
Am nächsten Sonntag findet die Stichwahl zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten statt. Keiner von beiden hat ein Regierungsprogramm. Einer, Jimmy Morales ist durch seine Fernsehauftritte als Komödiant bekannt und wird von den rechten Militärs unterstützt. Er hat keine politische Erfahrung und brüstet sich damit, dass er dank der Erziehung durch seine Mutter ein ehrlicher Mensch ist. Sandra Torres hatte als Ehefrau eines ehemaligen Präsidenten sehr viel Macht, und es werden ihr einige schmutzige Geschäfte nachgesagt. Der Wahlausgang bringt keine Hoffnung für eine grundsätzliche Änderung. Die ist nur möglich, wenn weiterhin Einzelpersonen und Organisationen sich gegen die Korruption wehren, wo sie auch auftritt. Diesen Samstag gab es wieder eine kleine Demonstration, die eine Säuberung des Parlaments fordert.
Wir im Verein und in der Schule weigern uns, Schmiergelder zu bezahlen, auch wenn wir dadurch oft länger brauchen, um unsere Ziele zu erfüllen. Vor zwei Jahren hat uns ein Sachbearbeiter der Sozial-versicherung Schwierigkeiten bei der Einschreibung der neuen Lehrer gemacht. Es hat immer irgendetwas in den Dokumenten beanstandet. Don Pedro hat sich nicht entmutigen lassen, und so hat es eineinhalb Jahre gedauert bis wir die Lehrer und Lehrerinnen rückwirkend einschreiben konnten.
Ein anderes Beispiel sind unsere Bemühungen den Anschluss für die neuen Schultoiletten an die Kanalisation zu bekommen. Dieser Anschluss steht uns rechtlich zu, trotzdem waren wir nicht erfolgreich. Nach monatelangen Versprechen kombiniert mit Hinhaltemanövern von Seiten der Behörden und des Abwasserkomittees haben wir beschlossen, selbst eine kleine Vor-klärgrube und eine Sickergrube zu bauen. Auf dem Foto seht ihr den Direktor, Don Pedro, und Väter, wie sie den oberen Teil der 8 m tiefen Sickergrube an Ort und Stelle hieven.
Auch Stipendiaten, die Praktikas in Institutionen machen, treffen auf Korruption: Der Leiter der Alphabetisierungskampagne für Erwachsene hat von Gabriela gefordert, dass sie ihm ein Ergänzungsset für seinen Drucker kauft. Das sei so üblich, dann würde er ihre Dokumente für die Schule unterschreiben. Da sie das Geld bei uns beantragt hat, bin ich selbst zu ihm gegangen und habe nach-gefragt und um eine Quittung gebeten. Da machte er sofort einen Rückzieher, meinte das sei alles freiwillig und wenn wir dafür kein Geld hätten, dann könnte es auch ein Paket Papier für den Drucker sein. Hinterher hat er Gabriela als konfliktive Person beschimpft. Als er dann nicht mehr zu erreichen war und sie ihre Dokumente nicht bekam, habe ich mir Sorgen gemacht, ob sie wegen meiner Intervention das Schuljahr nicht besteht. Am letztmöglichen Tag hat er sie ihr dann gegeben.
Wir haben den Fall in der Gruppe der Stipendiaten besprochen, und da kam heraus, dass die meisten sich schämen, zuzugeben, dass sie arm sind und ein Stipendium bekommen. Dieses Wissen löst anscheinend bei Lehrern und Lehrerinnen und Mitschülern ein unangenehmes Ver-halten aus. Gabriele wollte nicht, dass ihr Praktikumschef weiß, dass sie arm ist.
Auf dem Foto oben seht ihr die gesamte Gruppe, mit Blumen, die sie aus Limonade-dosen gebastelt haben. Bei jedem Treffen bereitet ein Jugendlicher ein Thema vor und lernt den anderen etwas. Unten sind sie beim Pizzabacken. Die Marimbagruppe des Colegio Maya hat viel Erfolg und wird immer wieder zu Veranstaltungen verschiedener Organisationen in Cantel und Quetzaltenango gerufen. Der neue Musiklehrer bringt mit den Kindern die Marimba ganz anders zum Klingen als der frühere.
In diesem Jahr bekamen wir sogar vom Bürgermeister einen Zuschuss zu seinem Honorar, so dass er mit den ganz Kleinen eine neue Gruppe anfangen konnte. Besonders freut uns, dass ein Mädchen, das vor einem Jahr immer wieder gesagt hatte, dass sie sterben wollte, nichts mehr davon erwähnt, seit sie Marimba spielt.
Im letzten Rundbrief habe ich euch Bilder gezeigt, wie es mit dem Schulgarten anfing. Nach einigen Monaten war die Ernte so gut, dass die Kinder in der Schule einen Markt für die Eltern organisiert haben, auf dem sie ihre Produkte verkauften. Im nächsten Schuljahr (ab Januar), wird diese Arbeit intensiviert werden.
Eine wichtige Neuigkeit ist, dass wir das Colegio Maya um die dreijährige Mittelschule erweitern. Zunächst fangen wir mit einer Klasse an. Die Schüler und Schülerinnen kommen aus Familien, die es sich nicht leisten können, ihre Kinder an eine Schule in Quetzaltenango zu schicken. Es gibt eine Mittelschule in der Nähe, die aber sehr große Klassen hat (40-50). Wir möchten den Jungen und Mädchen eine bessere Schulbildung ermöglichen und die andere Schule entlasten. Dazu brauchen wir neue Räume und Einrichtung, außerdem Computer, was vom offiziellen Lehrplan vorgeschrieben ist. Ein Antrag für den Bau von drei neuen Klassenzimmern ist beim deutschen Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in Bearbeitung, und es ist fast sicher, dass er bewilligt wird.
Wofür wir dringend zusätzliche Spenden brauchen, sind die Honorare der Lehrer und Lehrerinnen. Sie werden stundenweise bezahlt. Für die zusätzlichen 40 Unterrichtsstunden an der Mittelschule brauchen wir monatlich etwa 4800 Quetzales mehr, das sind zur Zeit etwa 560 Euro. Das ist das Mindeste, was wir den Lehrern an Bezahlung geben möchten. Wir bitten euch, uns zu unterstützen, und neue Spender für diese neue Aufgabe zu finden.
Wir danken euch allen für eure bisherige Hilfe, besonders auch der Betty-Reis-Schule in Wassenberg, der Realschule in Biberach, dem Verein Itzamna-Hilfe für Guatemala e. V. und seinem Vorsitzenden Dr. Andreas Uhl, der die Arbeit mit der Antragstellung ans BMZ übernommen hat.
Walli Rupflin, Pedro Cortez, Marcos Tzul, Enrique Salani, Rolando Salani, Hugo Cortez
Spendenkonto: Itzamna – Hilfe für Guatemala e. V.
8300757 Kreissparkasse Biberach
BLZ 65450070, IBAN : DE02 6545 0070 0008 3007 57, BIC: SBCRDE66XXX
Kontakt und Flyer: Gisela Oesterlein, Rammingerstr.8, 88400 Biberach-Riss, wallirupflin@yahoo.de
Den gesamten Rundbrief können Sie hier als PDF herunterladen: Rundbrief Oktober 2015